Hochfliegen oder Hangkratzen???
Wenn wir in den Bergen fliegen, dann haben wir einen Wind mit einer bestimmten Windrichtung. Meistens fliesst dieser Wind entweder das Tal rauf- oder runterwärts. Oder anders ausgedrückt, wenn wir auf dem Berg stehen und ins Tal schauen, dann kommt der Wind entweder von links oder von rechts. Das sind die Talwindsysteme. Bei einem Flug gegen den Wind kann es von Vorteil sein, einfach mal nicht so hoch zu fliegen, sondern mal den Hangkratzer" zu spielen. Umgekehrt, bei Rückenwind, einmal so richtig ordentlich hoch aufzudrehen und dann nur noch mit einer traumhaften Gleitzahl seinem Ziel entgegenzufräsen.
A L S O, jetzt schauen wir uns alle mal unsere Alpen an. Die bestehen hauptsächlich aus Ost/West verlaufenden Bergketten, Hügel und Tälern. Nun haben wir mal einen Süd-Westwind. Unser Ziel liegt im Westen und wir fliegen auf der Südseite einer Ost/ West gerichteten Bergkette. Der reelle Gegenwind aus West beträgt in der Höhe 20 km/h und unser Gleitschirm hat sein bestes Gleiten bei 36 km/h, das entspricht den gebräuchlichen 1-2ern oder sogar 2ern. Wir fliegen nun ausreichend über Grat, so 400m drüber. In der Höhe verliert sich der laminare Hangaufwind und die ortsgebundene Thermik überwiegt dort. Um nun gegen den Wind anzukommen, müssen wir nun sehr hoch aufdrehen, abgleiten, aufdrehen, abgleiten, aufdrehen, abgleiten. Da ja der Hangaufwind nicht so hoch reicht und wir leider nicht in den Genuss eben dieses selbigen kommen beträgt unser Gerätesinken bei 36 km/h so 1,2 m/s. Da wir in den Höhe einen Gegenwind von 20 km/h haben bewegen wir uns mit 16 km/h gegenüber Grund vorwärts Richtung Ziel, welches immer noch im Westen liegt. Das entspricht einer Gleitzahl von 3,7 gegenüber Grund. Ganz schön beschissen, oder??
Nun machen wir mal den Versuch und fliegen unter Grat, deutlich mit Bezug zum Hang. Durch den laminaren Hangaufwind beträgt unser Gerätesinken nur noch 0,7 m/s oder sogar besser. Durch den Bodenwiderstand wird nun unser Gegenwind nur noch 10 km/h betragen. Wir bewegen uns also mit 26 km/h gegenüber Grund. Das entspricht einer Gleitzahl von 10,4.Na, das ist doch gigantisch!!! Und das auch noch gegen den Wind!!! Diese Zahlen sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern ich denke für jeden Piloten durchaus nachvollziehbar. Ich habe diese Taktik schon öfter praktiziert und sie hat auffallend oft gepasst. Das ganze funktioniert natürlich nur, wenn kein starker Talwind vorherrscht. Prädestiniert für eine solche Taktik sind Fluggebiete mit breiten Tälern, wenig Felsen und wenig markanten Geländeeinschnitten, auch Abrisskanten genannt, also eher im homogenen Geländen mit gleichmässigem Bewuchs. Oder einfacher ausgedrückt im soaringfähigem Gelände wie z.B. das Pizgau, Zillertal, Emberger Alm und die Vogesen . Super geeignet für diese Art des Fliegens sind vor allem Fluggebiete mit vorgelagertem Flachland, wie Bassano, Andelsbuch und Mittag. In Taldüsen und in engen Tälern solltet ihr solche Spielchen tunlichst unterlassen!
Ich möchte noch etwas näher auf den Flugstil dieser Art des Hangkratzens eingehen. Wenn man so gegen den Wind im Hangaufwind und im ungefährlichen Gelände (keine schroffen Felsen), so mit 26 km/h gegenüber Grund dahinpöttelt, kann man durchaus mit nur 5-10m Abstand zum Hang oder den Bäumen dahinfliegen. Das ist nicht lebensgefährlich!! Natürlich muss man die Möglichkeit einer Baumlandung immer im Auge behalten. Auch hier kann ich mit ruhigem Gewissen sagen, daß das nicht lebensgefährlich ist. Eine kontrollierte Baumlandung ist jeder anderen unkontrollierten Bruchlandung vorzuziehen. Wichtig ist es, um einer Baumlandung zuvor zu kommen, daß man bei einem Durchsacker immer die Möglichkeit zur Flucht ins Tal hat. Das ist insbesondere in den Vogesen sehr schwierig, da das Gelände flacher zum Tal hin ausläuft als der Gleitwinkel unserer Schirmen.
Nun haben wir unser Ziel im Westen erreicht und machen uns auf den Heimweg. Jetzt ist es besser höher zu fliegen. Warum?? Ganz einfach, wegen der Nerven und weil wir alle nicht lebensmüde sind!!! Wenn wir mit 36er Trimmspeed plus 10 km/h Rückenwind dahindonnern, also mit 46km/h gegenüber Grund (das entspricht einer Gleitzahl von 18,4 bei einem Gerätesinken von 0,7 m/s), meine ich, dass das extrem lebensgefährlich ist. Daraus folgern wir, dass jetzt ein Sicherheitsabstand mit 5-10m nicht ausreichend ist. Jetzt sollte der Hangabstand eher 100m oder mehr betragen. Da wir hier nicht mehr so gut im Hangaufwindbereich gleiten, wird unser Sinken jetzt schlechter. Dagegen sind wir auch nich mehr im Bereich des Bodenwiderstandes und der Rückenwind wird uns etwas stärker voranschieben. Gehen wir mal von einem Sinken von 1m/s aus bei einem 15er Rückenwind, das entspricht einer Gleitzahl von 14,3. So, nun bescheinen wir mal den Flug in der Höhe mit dem vollen Rückenwind von 20 km/h bei einem Sinken von 1,2 m/s. Das ist immer noch eine satte Gleitzahl von 13,1 bei reichlicher Sicherheitshöhe und das langt doch auch noch. Ich persönlich habe nicht die Nerven die traumhafte Gleitzahl von ca. 18 zu nutzen. Das überlasse ich lieber den anderen Fliegern und Piloten.